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  • AutorenbildAndrea Berneis

Die gesetzliche Pflicht zum Schutz von Whistleblowern - ein Gesetz mit großer Wirkungskraft

Deutsche Unternehmen stehen vor einem Paradigmenwechsel. Sie müssen sich darauf einstellen, dass Hinweisgeber:innen es zukünftig deutlich leichter haben werden, Verdachtsmomente zu äußern, die auf Missstände und Straftaten in ihren Unternehmen hindeuten. Die Meldung eines Regelverstoßes an eine interne oder externe Meldestelle hat zur Folge, dass eine Überprüfung des Sachverhalts zwingend vorgenommen werden muss. Benachteiligungen im Gutsherrenstil, durch Kündigung, Diskriminierung oder Ausgrenzung, mit denen hinweisgebende Personen bisher eingeschüchtert werden konnten, sind damit endgültig aus der Mode gekommen.


Das Gesetz hatte es in Deutschland nicht leicht. Schon am 23. Oktober 2019 wurde die zu Grunde liegende EU-Richtlinie 2019/1937 (Hinweisgeberschutz) erlassen. Die Frist für die 27 Mitgliedsstaaten, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, endete am 17. Dezember 2021. Die meisten Staaten lieferten pünktlich. Deutschland war indessen unter denen letzten acht, die ihre Hausaufgaben auch ein Jahr später immer noch nicht erledigt hatten.


Deutschland hat sich mit der Umsetzung in nationales Recht schwergetan

Eine erste Gesetzesfassung wurde endlich am 16.12.2022 vom Deutschen Bundestag verabschiedet, verfehlte jedoch am 10. Februar 2023 die erforderliche Mehrheit von 35 Stimmen des Bundesrates. Da die Zustimmung der Länderkammer erforderlich war, konnte das Gesetz nicht in Kraft treten. In einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission wurde Deutschland sodann auf Zahlung einer Geldstrafe verklagt.

Unter diesem Druck erzielte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat am 09. Mai 2023 eine Einigung zur Kompromisslösung der Bundesregierung. Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) wurde schließlich mit Änderungen am 11. Mai 2023 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und mit Zustimmung des Bundesrates am 12. Mai 2023 beschlossen.


Kernanforderungen des Hinweisgeberschutzgesetzes

Das nunmehr verabschiedete Gesetz sieht vor, dass Unternehmen ab 50 Beschäftigte einen zuverlässigen Schutz von Whistleblowern etablieren müssen, die einen Verstoß gegen geltendes Recht melden wollen. Eine interne Meldestelle muss eingerichtet werden, die unter anderem die Aufgabe hat, das Meldeverfahren zu führen und die definierten Prozesse einzuhalten. Für den Fall der Fälle, dass ein relevanter Compliance-Verstoß gemeldet wird, müssen auch Folgemaßnahmen festgelegt und überwacht werden.


Beschäftigungsgeber müssen ihre Beschäftigten darauf hinweisen, dass diese das Wahlrecht haben, ihr Anliegen auch direkt an eine externe Meldestelle abzusetzen, zum Beispiel an das Bundesamt für Justiz, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht oder das Bundeskartellamt.


Mit dem gesetzlich verankerten Wahlrecht erfährt die bisherige arbeitsrechtliche Praxis eine entscheidende Wendung. Wo im Kündigungsschutzverfahren bisher eine Abwägung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen stattfand und auf die „Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber“ abgehoben wurde, wird zukünftig allein die Rechtmäßigkeit einer Whistleblower-Meldung relevant sein.


Die hinweisgebende Person hat sich insofern an die Wahrheitspflicht zu halten, die verlangt, dass eine Meldung in dem guten Glauben erfolgt, der geschilderte Vorgang stelle einen Verstoß gegen geltendes Recht dar. Zwar soll die hinweisgebende Person sich bevorzugt an die interne Meldestelle wenden, sie ist jedoch frei, den direkten Weg der behördlichen Meldung zu wählen, wenn dem intern gemeldeten Verstoß nicht abgeholfen wurde, oder wenn der Weg einer internen Meldung vom Beschäftigungsgeber erschwert wurde.


Ob die hinweisgebende Person sich also vertrauensvoll an die dafür eigens eingerichtete Stelle innerhalb der eigenen Organisation wendet oder direkt mit einer Behörde Kontakt aufnimmt, ist grundsätzlich ihr zu überlassen. Der Beschäftigungsgeber ist indessen gut beraten, wenn er seinerseits die Voraussetzungen dafür schafft, dass interne Meldungen ohne Furcht vor Repressalien möglich sind. Nur im Fall einer internen Meldung wird er den gemeldeten Vorfall selbst aufklären und somit die Kontrolle über die Folgemaßnahmen behalten können. Gelingt ihm dies nicht, dann ist der Grundsatz, dass Missstände zunächst im eigenen Betrieb aufgeklärt werden müssen, obsolet.


Beweisregeln bei Benachteiligungen

Das stärkste gesetzliche Novum ist das Verbot von Repressalien gemäß § 36, welches durch eine Beweislastumkehr Durchschlagskraft erhält: Macht die hinweisgebende Person geltend, sie sei auf Grund ihrer Meldung vom Beschäftigungsgeber benachteiligt worden (zum Beispiel durch Kündigung) so muss der Benachteiligende beweisen, dass die Maßnahme nicht auf der Meldung beruhte. Die Vertreter:in der Arbeitnehmer:innen-Seite hat die Benachteiligungsvermutung im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend zu machen.


Anonyme Meldungen

Die aktuelle Gesetzesfassung verzichtet auf die ursprünglich festgelegte Pflicht von Beschäftigungsgebern, auch anonyme Meldungen zu ermöglichen. Der Vermittlungsausschuss reagierte mit diesem Verzicht unter anderem auf den Einwand, die Pflicht zur Nachverfolgung anonymer Meldungen führe zu einem unvertretbar hohen Bürokratieaufwand in den Unternehmen. Nunmehr wird lediglich vorgegeben, dass interne Meldestellen anonyme Hinweise bearbeiten sollen.


Im Ergebnis ist dieser Streit unerheblich, da eine Pflicht zur Überprüfung auch von anonymen Hinweisen schon aus §§ 30, 130 OWiG folgt, wonach das Außerachtlassen eines relevanten anonymen Hinweises eine Verletzung der Aufsichtspflicht bedeuten würde, die schon wegen des damit einhergehenden Haftungsrisikos absurd erscheinen muss.


Erwähnenswert scheint schließlich, dass die maximale Bußgeldandrohung im Falle einer Behinderung der Kommunikation mit 50.000 Euro deutlich, nämlich auf die Hälfte, gesenkt wurde.


Fazit

Potenzielle Hinweisgebende fürchten häufig, dass ihre Identität bei unternehmensinternen Meldungen nicht tatsächlich geschützt bleibt, oder sie bemängeln fehlende Transparenz bezüglich der Bearbeitung ihrer Meldungen. Die Betreuung und Bearbeitung von Meldungen durch eine dritte Person (z. B. Ombudsperson), die von der IT-Infrastruktur des Unternehmens unabhängig ist, kann diese Vorbehalte auflösen.


Trotz gewisser Vorbehalte versuchen hinweisgebende Personen in der Regel, ihre beobachteten Missstände zunächst intern anzusprechen, bevor sie sich an Behörden, Medien oder die Öffentlichkeit wenden. Dies setzt voraus, dass sie im Unternehmen eine offene Kultur und geeignete Kanäle vorfinden, die ihnen dies risikolos ermöglichen. Ein richtig angelegtes Hinweisgebersystem schafft Sicherheit und Vertrauen für Beschäftigte und Geschäftspartner und bildet ein „Frühwarnsystem“ für das Unternehmen.


Die erwünschte Fehlerkultur war bislang nicht überall selbstverständlich. Das Hinweisgeberschutzgesetz wird nunmehr in vielen Unternehmen die erwünschte Speak-up-Kultur begünstigen - wenn diese daran aktiv mitwirken.


Andrea Berneis

Rechtsanwältin | Ombudsfrau



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